Wenn man im Zusammenhang mit der hydraulischen Energiegewinnung aus erneuerbaren Energiequellen von Wasserkraftwerken spricht, geht es im Onshore-Bereich meist um konventionelle Wasserkraftwerke wie z. B. Speicher-, Pumpspeicher- oder Laufwasserkraftwerke. Für den Offshore-Bereich kommen insbesondere den Tidenhub ausnutzende Gezeitenkraftwerke und neuerdings auch sogenannte Wellenkraftwerke zum Einsatz, deren Funktionsprinzip in diesem Artikel anhand eines entsprechenden Pilotprojekts umrissartig erläutert werden soll.
Das erste kommerziell genutzte Wellenkraftwerk der Welt ging am 08.07.11 ans Stromnetz. Es wurde vor dem Hafen von Mutriku, Spanien, vom spanischen Energieversorger Ente Vasco de la Energía (EVE), Bilbao, gebaut. Geliefert wurden die Anlagenteile von der Firma Voith Hydro, Heidenheim. Bei einem Investitionsvolumen von 6,7 Mio. € wandeln 16 Wells-Turbinen mit einer installierten Gesamtleistung von 300 kW die mechanische Energie der Meereswellen in elektrische Energie um, mit der etwa 250 Haushalte mit Strom versorgt werden.
Die Anlage zur Erzeugung von Energie aus Meereswellen funktioniert nach der sogenannten OWC-Technologie (engl.: Oscillating Water Column = oszillierende [„schwingende“] Wassersäule). In einem Wellenkammer-Turbinen-System wird der Wellengang, d. h. das Wechselspiel von Wellenberg und -tal, in einer Betonkammer unter dem Meeresspiegel genutzt, um durch den so entstehenden unterschiedlichen Wasserspiegel einen Luftstrom entsprechender Richtung zu erzeugen, der wiederum die der Kammer nachfolgende Wells-Turbine antreibt, deren Generator Strom produziert. Bei ansteigendem Wasserspiegel (= Wellenberg) drückt das Wasser die Luft in die Kammer und damit in die Turbineneinheit, bei abnehmendem Wasserspiegel (= Wellental) saugt das Wasser die Luft aus der Kammer und somit in entgegengesetzter Richtung aus dem Kraftwerk. Die 16 Wells-Turbinen haben dabei Schaufeln mit einem symmetrischen Querschnitt und weiterhin die Besonderheit, dass diese sich – unabhängig von der jeweiligen Luftströmung (Luftdruck oder Luftzug) – stets in die gleiche Richtung drehen.
Als erneuerbare Energiequelle ist auch diese Form der Stromerzeugung CO2-neutral. Ein weiterer Vorteil dieser Anlagentechnologie ist die Flexibilität, mit der das Kraftwerk sowohl in bestehende Bauten wie Wellenbrecher oder Hafenmauern / -molen als auch in Neubauten wie andere maritime Küstenschutzprojekte integriert werden kann. Nachteilig ist neben den relativ hohen Investitionskosten die vergleichsweise geringe installierte Leistung und die damit verbundene niedrige Lastdeckung. Darüber hinaus eignet es sich aufgrund des erforderlichen Mindestwellenhubs nur in bestimmten Regionen wie z. B. an den Atlantikküsten, nicht jedoch an den Küsten von Nord- oder Ostsee.
Dennoch kann dieses Pilotprojekt, dessen Funktionsprinzip in der nachfolgenden Abbildung (Quelle: Voith Hydro Wavegen Ltd.) schematisch dargestellt ist, einen ersten wichtigen Schritt zur kommerziellen Erschließung des riesigen Potenzials an Meereswellenenergie – Schätzungen liegen bei rund 1,8 TW weltweit – zur Stromerzeugung tun.