Anlaufstrom

In Kraftwerken zur Stromproduktion wird nicht nur Elektrizität erzeugt, sondern für einen ordnungsgemäßen Betrieb der Anlage und ihrer Peripherie auch jederzeit benötigt. Ein Anteil an diesem Bezug von Strom ist der sogenannte Anlaufstrom, der in diesem Artikel beschrieben werden soll.

Die vom Kraftwerk benötigte Elektrizität wird auch als Eigenbedarf bezeichnet und kann entweder aus dem öffentlichen Stromnetz bezogen oder über Selbsterzeugung hergestellt werden. Beim erstgenannten Netzbezug fallen neben dem jeweiligen Strompreis oder einer vergleichbar mengenabhängigen Vergütung durch den Lieferanten weitere Entgelte wie zum Beispiel die EEG-Umlage oder Gebühren für die Netznutzung pro bezogener Kilowattstunde [kWh] an.

Bei der Produktion des Eigenverbrauchs durch die Anlage selbst entfallen diese Kosten in der Regel. Dafür steht die für die Eigenlastdeckung verwendete Strommenge nicht mehr für andere Zwecke der Vermarktung oder Systemdienstleistung in Form von Stromhandel oder Regelleistung zur Verfügung. Für eine Megawattstunde [MWh] entstehen in diesem Zusammenhang weiterhin insbesondere sogenannte Grenzkosten, die sich aus verschiedenen Kostenbestandteilen wie Brennstoffen, Emissionszertifikaten oder Nebenkosten in Abhängigkeit vom jeweils erreichten Wirkungsgrad bzw. angefahrenen Lastpunkt der Anlage ergeben. Daher werden diese Kosten auch als der spezifische Arbeitspreis des Kraftwerks in [€/MWh] bezeichnet.

Der elektrische Eigenbedarf lässt sich grob in die drei zustandsabhängigen Bestandteile Einschalt-, Nenn- und Ausschaltstrom unterteilen. Beim Anfahrvorgang des Kraftwerks wird der Einschaltstrom, im laufenden Betrieb der Nenn-, und während des Abfahrens der Ausschaltstrom benötigt. Ersterer ist derjenige elektrische Strom, der unmittelbar nach dem Anlassen des elektrischen Verbrauchers fließt, im Falle eines Dampfkraftwerks vereinfacht gesprochen der Turbine. Dieser kann ein Vielfaches des später fließenden Nennstroms unter Grund-, Mittel- oder Spitzenlast betragen, da für die Beschleunigung der trägen Turbinenschaufeln bzw. ihrer Schwungmasse deutlich mehr Leistung erforderlich ist als bei laufendem Anlagenbetrieb. Ausgehend vom Stillstand der Erzeugungseinheit (Drehzahl der Turbine pro Minute bei n = 0 U/min) wird für die kontinuierliche Erhöhung der Umdrehungen der Welle mit 0 < n < 3.000 folglich eine deutlich höhere Stromstärke nötig als für das Halten der anschließend erreichten Maximaldrehzahl von n = 3.000 bzw. bei fahrender Anlage, wo der weitgehend konstante Arbeitsstrom fließt.

Der Strom für das mechanische Anfahren bzw. Anlaufen der Turbine aus dem Ruhezustand bis zum Arbeitspunkt wird als Anlaufstrom bezeichnet und bildet somit einen Teil des Einschaltstroms. Sobald Spannung angelegt wird, fließt ein Strom und die Welle der Turbine beginnt zu drehen (n > 0 U/min). Nach dem Induktionsgesetz (vgl. gleichnamiger Artikel auf dieser Internetseite) entsteht durch diese Bewegung in einem magnetischen Feld eine Induktionsspannung, die der angelegten Spannung entgegenwirkt (Gegenspannung) und diese entsprechend reduziert. Gemäß dem Ohmschen Gesetz sinkt bei abnehmender Spannung und konstantem Widerstand auch die Stromstärke. Beide Kenngrößen verhalten sich damit annähernd umgekehrt proportional zur Drehzahl der Turbine, da die induzierte Gegenspannung mit dieser ansteigt, so dass der Strom nach dem Einschalten des Verbrauchers bis auf sein durch den Widerstand begrenztes Minimum kontinuierlich zurückgeht (Nenn- bzw. Arbeitsstrom).

In diesem Beitrag wurde im Sinne einer schematischen Vereinfachung lediglich die Dampf- und / oder die Gasturbine als einziger Verbraucher in einer Erzeugungsanlage angesprochen. In der betrieblichen Praxis sind jedoch weitere Komponenten des Kraftwerks wie Generatoren, Motoren oder Pumpen zu berücksichtigen, die als Verbraucher zu ihrer jeweiligen Funktion ebenfalls Strom beziehen und in Großanlagen zur Strom- und / oder Wärmeerzeugung je nach Anzahl und Leistung einen Einschaltstrombedarf im zweistelligen MW-Bereich erfordern.