von Herbert Saurugg, M.Sc.
Am 21. Juni 2024 ereignete sich in mehreren Ländern auf dem Balkan durch eine Verkettung unglücklicher Umstände ein großflächiger überregionaler Stromausfall, der vom Verband der europäischen Übertragungsnetzbetreiber (ENTSO-E) als sogenannter Blackout bestätigt wurde. Somit kam es an diesem Tag nach 1976 und 2003 nunmehr zum dritten Mal in der Geschichte des europäischen Stromverbundsystems zu einem Schwarzfall.
Der erste europäische Blackout am Ostermontag des Jahres 1976 betraf Teile Deutschlands, Österreichs und der Schweiz. Der zweite Schwarzfall ereignete sich am 28. September 2003, als ganz Italien fast einen ganzen Tag lang ohne Strom war. Nun kam es zum bislang dritten Blackout im europäischen Verbundsystem „Zentraleuropa“ in mehreren Ländern des Westbalkans. Dieses Ereignis blieb weitgehend unbemerkt, da die zuständigen Übertragungsnetzbetreiber den Ausfall innerhalb von etwa zwei Stunden beheben und die Stromversorgung in diesem peripheren Stromnetz durch internationale Zusammenarbeit wiederherstellen konnten.
Soweit bisher bekannt ist, trug neben dem hohen Stromverbrauch – insbesondere durch Klimaanlagenbetrieb infolge der hohen Temperaturen – wohl auch ein übermäßiger überregionaler Stromhandel zum Ausfall bei. Bereits am 08. Januar 2021 war dieser beim letzten schweren Zwischenfall auf dem Balkan mit der Folge einer Netzzwangsauftrennung mitverantwortlich. Der Stromausfall ereignete sich mittags, und somit zu einer Tages- und Jahreszeit, in der die Solarenergie normalerweise eine hohe Produktion aufweist. Die meisten konventionellen Energiequellen in Form von Wärmekraftwerken wurden wegen der Verfügbarkeit der billigeren Solarenergie abgeschaltet. Als der Stromausfall auftrat, produzierte die Solarenergie punktuell jedoch nicht und hinterließ in der Region entsprechend ein übermäßiges Stromdefizit. Damit und aufgrund der Nichtverfügbarkeit anderer Kraftwerke fehlte die erforderliche Momentanreserve, um einen stromnetzseitigen Kaskadeneffekt zu verhindern.
Daraufhin brachen um 12:24 Uhr in der Konsequenz die Stromnetze Albaniens, Montenegros, Bosnien-Herzegowinas und Kroatiens zusammen. Um 12:20 Uhr begann der Zusammenbruch im Stromübertragungsnetz Albaniens mit dem Ausfall der albanisch-griechischen 400 kV-Verbindungsleitung Zemlak–Kardia. Obwohl diesem Ausfall ein weiterer Ausfall der 400 kV-Übertragungsleitung Podgorica–Ribarevina 2 in Montenegro vorausging, befanden sich die Übertragungsnetze Montenegros und der benachbarten Länder bis dahin in einem regulären und ordnungsgemäßen Betrieb.
Nach dem Ausfall der Übertragungsleitung Zemlak–Kardia kam es in Albanien zu einer Reihe kaskadenartiger Ausfälle von 400 kV-, 220 kV- und 110 kV-Übertragungsleitungen, woraufhin sich der Vorfall sofort auf das Stromnetz Montenegros übertrug und zu einem Ausfall der 220 kV-Übertragungsleitung Mojkovac–Podgorica 1 führte. Auf diese Weise blieb das tragbare Verbundsystem Montenegros mit der Einspeisekapazität von 400 MW über eine Hochspannungs-Gleichstromübertragung (HGÜ) von Montenegro nach Italien mit dem Stromnetz von Bosnien-Herzegowina verbunden. Aufgrund übermäßiger Stromflüsse aus dem nordöstlichen Teil Bosnien-Herzegowinas in den Süden kam es um 12:22 Uhr zu einem Spannungszusammenbruch und einem kaskadenartigen Ausfall aller Verbindungsleitungen zwischen Bosnien-Herzegowina und Montenegro, was zu einem weiteren Totalausfall der Transportsysteme Bosnien-Herzegowinas und Kroatiens führte.
Angesichts der Tatsache, dass das Stromversorgungssystem Bosnien-Herzegowinas ein integraler Bestandteil des komplexen Übertragungssystems Kontinentaleuropas ist, war ein solcher Epilog zu den Ereignissen in Bosnien-Herzegowina und Kroatien unvermeidlich, und es war somit nicht möglich, die Eskalation zu verhindern. Die maximale Übertragungsleistung einer 400 kV-Übertragungsleitung beträgt 1.300 MW – zum Zeitpunkt des Zusammenbruchs verzeichnete die Leitwarte des bosnisch-herzegowinischen Übertragungsnetzbetreibers NOS BiH (Nezavisni operator sustava u Bosni i Hercegovini) Leistungsflüsse von bis zu 2.250 MW pro einzelner 400 kV-Übertragungsleitung.
Aufgrund der kurzen Dauer des Vorfalls blieben viele der befürchteten Folgen eines Schwarzfalls aus. Denn wie ein solches Ereignis verläuft, hängt von vielen Faktoren und auch von ein wenig Glück ab. Dennoch wurden nach dem Ausfall auch in Serbien Unterversorgungen an Strom gemeldet, während es gleichzeitig in Griechenland zu einem Überangebot an Strom kam. Unter der vom Blackout betroffenen Infrastruktur meldete der albanische Übertragungsnetzbetreiber OST (Operatori i Sistemit te Transmetimit) einen Ausfall der 100 km langen 400 kV-Stromleitung Zemblak–Elbasan 2 aufgrund eines durch den Netzzusammenbruch verursachten Brandes. Am 21. Juni erlebte das europäische Stromverbundsystem mit dem Blackout auf dem Balkan wohl einen „best case“ bzw. Glück im Umglück – doch was passiert, wenn ein solches Ereignis mitten in Europa auftreten sollte oder wenn die Umstände eine schnelle Wiederherstellung der Netzfrequenz nicht zulassen? (Bildquelle: buckets)
Herbert Saurugg, Major a. D., ist Internationaler Blackout- und Krisenvorsorgeexperte sowie Präsident der Österreichischen Gesellschaft für Krisenvorsorge (GfKV), auf deren Internetseite https://www.gfkv.at/ sich auch nähere Informationen zum Thema finden.