Im letzten Artikel wurden die für den Ertrag aus Windenergieanlagen relevanten Parameter Windströmung und -geschwindigkeitsverteilung in der Nordsee angesprochen, die durch verschiedene Methoden zur Schätzung der Windverhältnisse im Offshore-Bereich ermittelt werden können, von denen einige gängige Varianten in diesem und im nächsten Beitrag vorgestellt werden sollen.
Die mittlere Jahresgeschwindigkeit des Windes über der Nordsee wird in einer Höhe von ca. 60 m auf über 8 m/s geschätzt, wobei in diesem Zusammenhang in Abhängigkeit der Entfernung von der deutschen Küste in zwei Gebiete differenziert werden kann: so liegen im küstennäheren, südlichen Teil der Nordsee Windgeschwindigkeiten von etwa 8 bis 9 m/s und im nördlichen, küstenferneren Bereich Geschwindigkeiten von ca. 9 bis 10 m/s vor. Diese Zahlen beschreiben die Windgeschwindigkeit allerdings lediglich ansatzweise. Wenn man bedenkt, dass die ökonomische Tragfähigkeit eines einzelnen Windparkprojektes respektive jeder separaten Offshore-Turbine bereits auf minimale Veränderungen in der Annahme des Jahresmittels der Windgeschwindigkeit von nur wenigen Zehnteln Meter pro Sekunde reagiert bzw. abhängt, so wird die Notwendigkeit einer möglichst genauen standortspezifischen Ermittlung des jeweiligen Windaufkommens deutlich.
Es existieren nun unterschiedliche Ansätze, um die Offshore-Windressourcen näherungsweise zu beschreiben. Die genaueste Methode ist es grundsätzlich, die erforderlichen meteorologischen Messungen am jeweiligen Standort selbst vorzunehmen, um auf diese Weise exakte bzw. verlässliche Angaben zu erhalten. Dazu ist ein geeigneter meteorologischer Messmast vor Ort oder an Bord eines stationären Feuerschiffes zu errichten und über einen Zeitraum von mindestens einem Jahr, vorzugsweise jedoch über mehrere Jahre (Referenzzeitraum des Deutschen Wetterdienstes: 1 Dekade) hinweg zu betreiben.
Da die Durchführung derartiger exakter Messungen mit sehr hohen Kosten respektive einem sehr hohen Zeitaufwand verbunden ist, werden langfristige, qualitativ durchaus akzeptable Schätzungen der Windgeschwindigkeit mit Hilfe der sogenannten Measure Correlate Predict-Methode (MCP; „Messen, Korrelieren, Vorhersagen“) ermittelt, wobei Offshore-Messdaten einer bzw. mehrerer Datenreihen mit entsprechenden Onshore-Langzeitstatistiken in geeigneter Weise korreliert werden, um so auf annähernd verlässliche Aussagen bzgl. der Windgeschwindigkeitsverhältnisse auf See zu kommen, was allerdings das Vorliegen mindestens einer kurzfristigen Erhebung im Offshore-Bereich voraussetzt.
Eine andere Approximativmethode beruht auf der Schätzung von Offshore-Windverhältnissen mit Hilfe der Europäischer Windatlas-Variante bzw. des sogenannten Wind Atlas Analysis and Application-Program (WAsP) auf der Basis von Langzeit-Windmessdaten oder auch auf der Grundlage statistischer Daten des atmosphärischen Druckes auf Meereshöhe. Im Rahmen dieses Verfahrens werden geeignete Langzeitdaten landgestützter Windmessungen dazu genutzt, um den sogenannten geostrophischen Wind, d. h. den von Bodeneinflüssen freien Wind in ca. 1.500 m Höhe über dem Meeresspiegel (vgl. Artikel „Meteorologische Rahmenbedingungen im Offshore-Bereich III“), zu schätzen.
Ausgehend von den so errechneten Erkenntnissen kann die Windgeschwindigkeit in Oberflächennähe am betreffenden Standort näherungsweise bestimmt werden, wobei hierzu adäquate Informationen über die lokalen topologischen Gegebenheiten und die Rauigkeit der jeweiligen Gelände- bzw. Meeresoberfläche in geeigneter Weise einfließen müssen. U. U. bedarf es hierbei noch spezifischer Korrekturen im Hinblick auf die speziellen Klimabedingungen in Küstennähe und denen auf offener See. Eine weitere Möglichkeit bei der Anwendung dieser Technik wäre es, Langzeitdaten des Luftdrucks auf Meereshöhe in geeigneter Weise zu nutzen, um die erforderlichen geostrophischen Windverhältnisse über der offenen See berechnen zu können.