Zur Schätzung der Windverhältnisse im Offshore-Bereich gibt es neben den im letzten Artikel vorgestellten Methoden ein weiteres Verfahren, das in diesem Beitrag aufgezeigt werden soll. Da derzeit nur sehr wenige dezidierte physikalische Messungen bezüglich der exakten Offshore-Windgeschwindigkeiten und Wellenhöhen in der Nordsee öffentlich und frei zugänglich sind, kann in diesem Zusammenhang ein Ansatz gewählt werden, der eine große Anzahl von Beobachtungen der sogenannten Voluntary Observation Fleet (VOF) auswertet.
Die VOF-Infrastruktur besteht aus einer Vielzahl von kommerziell betriebenen Schiffen, die ihre meteorologischen Beobachtungen hinsichtlich ertragsrelevanter Offshore-Parameter wie zum Beispiel Windgeschwindigkeit, -richtung, Wellenhöhe und -perioden etc. in regelmäßigen Zeitabständen (in der Regel alle drei Stunden) freiwillig (engl.: voluntary) und kostenfrei an eine zentrale Datenbasis in Form der VOF-Sammelstelle melden. Die Vorgehensweise der Mitglieder des VOF besteht aus kodierten Beobachtungen der meteorologischen Zustandsgrößen einerseits sowie der lokalen Seezustandsparameter andererseits, aus denen in der Folge die für den betroffenen Standort benötigte Windgeschwindigkeit abgeleitet wird, beispielsweise durch die im Artikel „Methoden zur Messung der Windverhältnisse im Offshore-Bereich“ erwähnte Flächenmessung.
Auch wenn dieser Ansatz nicht als der genaueste erscheint, so gewährleistet er für einen weiträumig abgedeckten Seebereich sowohl der Nord- als auch der Ostsee dennoch eine gleichbleibende Methodik und vor allem Qualität der Beobachtungen. So wurden für die Nordsee auf dieser Grundlage Schätzungen der mittleren Jahreswindgeschwindigkeit für zwölf Orte bzw. Bereiche entlang der Küste abgeleitet, wobei jede einzelne Schätzung auf mehreren eintausend Beobachtungen beruht. In der Vergangenheit wurde durch die VOF-Datenbasis eine Reihe von Studien durchgeführt, um auf diese Weise die Windressourcen sowie das erreichbare Windenergiepotenzial auf den europäischen Meeren zu berechnen. Aus den daraus resultierenden Daten wurden Landkarten mit den mittleren Jahreswindgeschwindigkeiten in Nord- und Ostsee aufgestellt, die sich entsprechend der Messmasthöhen der dem VOF angehörigen Schiffe in etwa 25 m Höhe ü. NN ergeben. Allerdings kann auch diese Methode trotz teilweise qualitativ sehr guter Resultate nur verhältnismäßig grobe Schätzungen bzw. Approximativwerte der tatsächlichen Windressourcen im Offshore-Bereich liefern.
Diese Winddaten müssen nun in der Folge mit Hilfe einer möglichst verlässlichen und konsistenten Methode auf größere Höhen über dem Meeresspiegel transformiert werden, da die Nabenhöhen von Offshore-Anlagen in Höhenlagen von bis zu 160 m ü. NN liegen können. Im Resultat ergibt sich ein auf der Grundlage der VOF-Daten ermitteltes Windgeschwindigkeitsmuster für verschiedene Standardhöhen bei einer Küstenentfernung von > 10 km im Offshore-Bereich, das durch eine spezielle Variante des WAsP (vgl. Artikel „Methoden zur Schätzung der Windverhältnisse im Offshore-Bereich I“) abgeleitet wurde.
Da diese aber bisher lediglich für die ausschließliche Ermittlung der Windgeschwindigkeitsverteilungen im Onshore-Bereich bewiesene Gültigkeit besitzt, besteht an dieser Stelle noch Klärungsbedarf über die Gültig- bzw. Übertragbarkeit dieser Methodik auf den Offshore-Nutzungsbereich. Anhand der Ergebnisse kann jedoch zunächst eine zumindest grobe Transformation der so ermittelten Winddaten auf weitere Standardhöhen erfolgen. Durch Interpolation können zudem auch Windgeschwindigkeiten sowie die zugehörigen erwarteten Leistungsdichten in der Einheit Watt pro Quadratmeter [W/m²] für solche Höhen ermittelt werden, die zwischen den referenzierten Höhenwerten liegen, so zum Beispiel für die exakten Nabenhöhen über dem Meeresspiegel einer konkreten Offshore-Windenergieanlage bzw. eines speziellen Windparks auf See.