von Herbert Saurugg, M.Sc.
Während im Herbst 2022 das Thema Blackout und eine mögliche Strommangellage intensiv diskutiert und vorbereitet wurden, sind diese Themen im Jahr 2023 in der Öffentlichkeit kaum mehr präsent. Der milde Winter 2022/23 ohne die erwarteten großen Energieversorgungsprobleme hat dazu geführt, dass diese Themen wieder in den Hintergrund gerückt sind, obwohl die Grundprobleme weiterhin bestehen. Auch wenn der kommende Winter deutlich entspannter aussieht als noch vor einem Jahr prognostiziert, sollten wir uns nicht in falscher Sicherheit wiegen.
Zur Kategorisierung der Maßnahmen bei einer Strommangellage wurde von den zuständigen Behörden in Österreich und Deutschland ein dreistufiges Verfahren entwickelt. Bei Stufe 1 wird die Öffentlichkeit zum Stromsparen aufgefordert. Bei Bedarf werden zusätzlich Nutzungsbeschränkungen oder -verbote erlassen. Hier würden stromintensive Anwendungen wie etwa die Verwendung von Saunen oder Leuchtreklamen untersagt werden. In Stufe 2 käme es zu einer Kontingentierung für Großverbraucher, die dann ihren Strombezug entsprechend reduzieren müssten, was nicht überall ohne Weiteres möglich wäre. In Österreich gibt es daher Absprachen zwischen den Unternehmen, dass jene, die ihren Bezug nicht einfach verringern können, trotzdem ihren Bedarf decken und andere Unternehmen, die ihren Verbrauch leichter reduzieren können, dafür auf ihr Kontingent verzichten. Sollten diese Kontingentierungen nicht ausreichen, müsste Stufe 3 verordnet werden. Hier würden in Österreich den Bundesländern Stromkontingente zugewiesen. Eine daraus resultierende Unterdeckung könnte dann zu temporären Flächenabschaltungen, sogenannten Brownouts, führen. Hierzu wurden in den Bundesländern unterschiedliche Abschaltzonen vorbereitet. Es muss auch damit gerechnet werden, dass nach einem Blackout Schäden an technischen Betriebsmitteln und Infrastruktur auftreten, die ebenfalls solche rollierenden Stromabschaltungen erforderlich machen können.
Wie bei einem Blackout würde eine Strommangellage ab Stufe 2 zu massiven Versorgungsproblemen führen. In der Schweiz käme es beispielsweise ab Stufe 3 zu einer Einstellung des Personenverkehrs auf der Schiene mit entsprechend schwerwiegenden Beeinträchtigungen in allen Lebensbereichen. Ab Stufe 3 müsste in Deutschland und Österreich der gesamte Schienenverkehr eingestellt werden. Derartige Maßnahmen wirken sich in der Folge grenzüberschreitend aus. Vor allem im Logistikbereich wäre diesbezüglich mit schwerwiegenden Folgen zu rechnen. In den betroffenen Regionen käme es wie bei einem Blackout innerhalb von 30 Minuten zu einem Ausfall der Telekommunikation, so dass weder Notrufe noch die Synchronisation der Logistik etc. funktionieren würden. Wie mehrere Vorfälle in den letzten Monaten gezeigt haben, reichen oft schon kurzzeitige Stromausfälle aus, um in Rechenzentren ein Chaos auszulösen. Gleichzeitig speichern immer mehr Unternehmen ihre Daten in der Cloud, so dass ein rascher Wiederanlauf nach der Stromabschaltung kaum zu erwarten ist, ganz zu schweigen von den vielschichtigen wechselseitigen Abhängigkeiten in unserer Just-in-Time-Logistik. Verschiedene Unternehmensbereiche sind auf zentrale Rechenzentren angewiesen. Würden diese in die jeweilige Abschaltzone fallen, wären auch alle Anwender betroffen, die noch mit Elektrizität versorgt werden.
Wie bei einem Blackout könnte innerhalb kürzester Zeit ein logistisches Chaos entstehen, das die Grundversorgung der Bevölkerung mit lebenswichtigen Gütern und Dienstleistungen beeinträchtigt. Auch wenn Stromengpässe und Lastabschaltungen ein geringeres Übel sind als ein ungeplanter, großflächiger und dauerhafter Stromausfall, so hätten auch kurze, geplante Einschränkungen massive Folgen. Die kurz- und langfristigen Auswirkungen hängen von der Ausgangssituation ab und davon, ob eine solche Maßnahme einmalig, über mehrere Tage oder über einen längeren Zeitraum durchgeführt werden muss. Nicht zu vernachlässigen ist, dass es bei solchen Flächenabschaltungen zu erheblichen Spannungs-, Frequenz- und Stromschwankungen kommen kann, die empfindliche Geräte (IT-Systeme, Gebäude- oder Prozessleittechnik u. a.) beschädigen können. Ebenso können folgenschwere Schäden an der Telekommunikationsinfrastruktur (z. B. Mobilfunk, Festnetz oder Internet) entstehen und es wäre wie bei einem Blackout mit erheblichen Problemen bei deren Wiederinbetriebnahme zu rechnen.
Hinzu kommt, dass es eine Vielzahl von Zuständigkeiten gibt und entsprechende Abstimmungen nicht an allen Stellen erkennbar sind. Während für den behördlichen Bereich die Regelung Sache der Energieverantwortlichen ist, liegen die Zuständigkeiten für die Folgen im Bereich der Sicherheit und des Katastrophenschutzes. Und wie beim Blackout-Szenario kommt es nicht darauf an, ob einzelne Akteure oder Sektoren gut aufgestellt und vorbereitet sind, sondern ob die Gesellschaft in ihrer Gesamtheit in der Lage ist, mit den weitreichenden Folgen einer solchen unvorhergesehenen Versorgungsunterbrechung umzugehen (Bildquelle: Triasys).
Herbert Saurugg, Major a. D., ist Internationaler Blackout- und Krisenvorsorgeexperte sowie Präsident der Österreichischen Gesellschaft für Krisenvorsorge (GfKV), auf deren Internetseite https://www.gfkv.at/ sich auch nähere Informationen zum Thema finden.