Im Zuge des Ukraine-Konflikts ist Erdgas zu einem knappen Gut geworden, so dass das BMWK mit dem Ersatzkraftwerkebereitstellungsgesetz eine rechtliche Grundlage für die sogenannte Gasersatzreserve geschaffen hat. Demnach müssen sich Kohlekraftwerke betriebsbereit halten und im Abruffall anfahren, um weniger Gas zur Stromerzeugung zu nutzen und das so eingesparte Erdgas vor dem Hintergrund der Versorgungssicherheit für die Industrie, zu Heizzwecken oder zur Speicherbefüllung verwenden zu können.
Die von der Bundesregierung bereits beschlossene Rechtsquelle mit dem vollständigen Namen „Gesetz zur Bereithaltung von Ersatzkraftwerken zur Reduzierung des Gasverbrauchs im Stromsektor im Fall einer drohenden Gasmangellage durch Änderungen des Energiewirtschaftsgesetzes und weiterer energiewirtschaftlicher Vorschriften“ wird voraussichtlich in der nächsten Bundesratssitzung am 8. Juli 2022 gemeinsam mit dem im Zusammenhang mit der Gaskrise ebenfalls spezifizierten Energiesicherungsgesetz verabschiedet und in Kraft treten, so dass eine entsprechende Rechtsverordnung ergehen kann, um die Gasersatzreserve zu aktivieren.
Das vom Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz (BMWK) erarbeitete Gesetz erlaubt es durch entsprechende Änderungen des grundlegenden Energiewirtschaftsgesetzes (EnWG), den Betrieb von Gaskraftwerken zu beschränken oder gar einzustellen. Ein Teil der Brennstoffkapazitäten stünde damit dem Industrie- oder Privatverbrauch zur Verfügung und könnte zudem zur Befüllung der Gasspeicher für die kommenden Wintermonate genutzt werden. Die mittelfristigen Ziele der deutschen Umwelt- und Klimapolitik einschließlich des Ausstiegs aus der Kohleverstromung sollen in diesem Kontext weiterhin beibehalten werden.
In der Folge des Ersatzkraftwerkebereitstellungsgesetzes als Verordnungsermächtigung könnten damit vermehrt Anlagen zur Erzeugung elektrischer Energie, die mit anderen Primärenergieträgern als mit Erdgas befeuert werden (Steinkohle, Braunkohle und Mineralöl) und gegenwärtig nur eingeschränkt verfügbar sind oder sich infolge ihrer durch den zuständigen Netzbetreiber festgestellten Systemrelevanz bislang nur in der passiven Reservebereitschaft in Form der Kaltreserve zwecks Leistungsvorhaltung ohne Teilnahme an den Energiemärkten befinden, wieder zur Stromerzeugung aktiviert werden. Für den Fall einer gasseitigen Notversorgungslage sollen neben grundsätzlichen Maßnahmen zur Energieeinsparung gemäß einer entsprechenden Abschaltregelung demnach Gaskraftwerke vom Netz genommen werden, um durch die vorgenannten zusätzlichen Erzeugungskapazitäten (Ersatzreserve Gas) die Stromerzeugung bzw. Lastdeckung aus gasbefeuerten Kraftwerken soweit wie möglich verdrängen oder ersetzen und das so eingesparte Erdgas für Industrie und Verbraucher nutzen zu können.
Parallel zu diesem potenziellen staatlichen Eingriff in den Marktmechanismus sollen die Energieversorgungsunternehmen (EVU) ihrerseits versuchen, die Situation wenn möglich etwas zu entspannen – zum Beispiel durch neue Lieferwege, Rückgriffe auf Gasspeicher, Optimierungen im Gasflussmanagement oder über den gegenseitigen Handel / Austausch von Gaskontingenten. Die meisten EVU haben diese Punkte aufgrund der auch vor dem Ukraine-Konflikt schon sehr angespannten und schwierigen Lage auf den Energiemärkten jedoch bereits weitgehend realisiert oder schlichtweg keine derartigen Möglichkeiten (mehr). Letztlich wären sie angesichts der Gaskrise aus wirtschaftlichen Gründen gezwungen, auf Basis des im Mai reformierten Energiesicherungsgesetzes im Rahmen des Notfallplans Gas ihre Einkaufskosten für Gas und den daraus produzierten Strom an die Endkunden weiterzureichen.
Sollte sich die Gaskrise in den kommenden Wochen und Monaten weiter zuspitzen, so könnte die Bundesregierung aufgrund einer nicht mehr gesicherten Gasversorgung notwendigerweise die Notfallstufe ausrufen und müsste ebenso aktiv wie kontrolliert in den deutschen Gasmarkt eingreifen. Unter Aufsicht der Bundesnetzagentur würde in einem solchen Szenario geregelt werden, welche Unternehmen noch mit welchen Gasmengen versorgt würden, um die Versorgungssicherheit der privaten Haushalte und kritischen Infrastrukturen nach Möglichkeit auch weiterhin zu gewährleisten.
Stillgelegte bzw. demnächst stillzulegende Öl- und Kohlekraftwerke gemäß ResKV oder KVBG werden nach ihrer Außerbetriebnahme daher nicht mehr zurückgebaut, sondern in eine Reserve zur Energieproduktion überführt, die im Falle einer Gasmangellage nach Abruf durch eine Verordnung der Bundesregierung aktiviert werden soll. Das Ersatzkraftwerkebereithaltungsgesetz will dem Strommarkt für einen befristeten Zeitraum – derzeit bis spätestens zum 31. März 2024 über einen Zeitraum von maximal sechs Monaten – zusätzliche Erzeugungskapazitäten zur Stromerzeugung mit den Energieträgern Stein- und Braunkohle sowie Mineralöl zur Verfügung zu stellen, damit möglichst wenig Gas verstromt wird, für andere Verbraucher verfügbar bleibt und so eine Gefährdung des deutschen Gasversorgungssystems abwenden.