In einem der letzten Artikel wurden sogenannte Kältemaschinen vorgestellt. Neben der Erzeugung von industrieller Prozesskälte können diese Aggregate wie dort beschrieben jedoch auch zu einem weiteren Zweck eingesetzt werden: sie kühlen Gase wie zum Beispiel Luft durch extrem niedrige Temperaturen bis zu ihrer Verflüssigung ab, so dass regenerativ erzeugter überschüssiger Strom beispielsweise aus Wind- oder Solarkraft darin gespeichert werden kann. Ein solches Energiespeichersystem mit flüssiger Luft als Lagermedium soll im Folgenden in seinen wesentlichen Grundzügen erläutert werden.
Zur Speicherung von elektrischer Energie bieten sich normalerweise herkömmliche Batterien aus Lithium-Ionen an. Elektrizität wird von den Verbrauchern zu bestimmten Hochlastzeiten benötigt, aber insbesondere aus regenerativen Quellen in preisgünstigen Niedertarifphasen nicht immer zeitgleich und demnach nicht bedarfsgerecht produziert und bereitgestellt. Eine Pufferung bzw. Lagerung des Stroms wird somit aufgrund der fluktuierenden und damit nicht kontinuierlichen Stromerzeugung aus erneuerbaren Verfahren, vor allem aus Anlagen zur Nutzung von Wind- und Solarkraft erforderlich.
Da geeignete Akkumulatoren in den relevanten großtechnischen Dimensionen jedoch vergleichsweise teuer und zudem kapazitätsmäßig begrenzt sind, darüber hinaus über eine limitierte Lebensdauer sowie eine im Laufe der Nutzungszeit abnehmende Speicherkapazität verfügen, hat das britische Unternehmen Highview Power eine Methode entwickelt, um Windkraft in Luft zu speichern: Tankbehälter werden in Zeiten von Stromeinspeisungen aus regenerativen Anlagen beladen und im Falle des Strombedarfs sowie fehlender erneuerbarer Einspeisung (Dunkelheit und Windstille, die sogenannte dunkle Flaute) entladen und in Form von Strom wieder ins angeschlossene Elektrizitätsnetz eingespeist. Diese „Batterien“ werden mit Flüssigluft betankt, die über das altbekannte technische Linde-Verfahren von 1895 aus Kältemaschinen gewonnen wird, welche wiederum mit dem zu lagernden Überschussstrom aus Wind- oder Solarkraftanlagen angetrieben werden.
Zu diesem Zweck wird die aus der Umgebung entnommene Luft zuvor gesäubert (Trennung von Kohlenstoffdioxid), getrocknet (Trennung von Wasser) und anschließend durch einen Kreislauf aus Abkühlung und gleichzeitigem Komprimieren bei einem Prozessdruck von etwa 200 bar in den dafür vorgesehenen Wärmeübertragern und Verdichtern nach dem Gegenstromprinzip verflüssigt. Die fluide bläuliche Luft, die als flüssiges Kyrogen (Stoffe tiefkalter Temperaturen) bei einem hydrostatischem Druck (normgemäß 1.013 mbar) eine Temperatur von –195,80 °C (Siedepunkt von Stickstoff) annimmt, wird in wärmeisolierten Tanks bei Umgebungsdruck gespeichert und kann in Zeiten des Elektrizitätsbedarfs wieder zu Strom umgewandelt werden. Dabei kann die gespeicherte Energie in den Behältern nahezu verlustfrei über mehrere Wochen hinweg gelagert werden.
Hierzu ist bei der Entnahme eine hinreichend große Prozesswärme erforderlich, um den Aggregatzustand der Luft wieder von flüssig in gasförmig zu ändern. Diese wird als Abwärme der für das Verfahren der industriellen Luftverflüssigung notwendigen Kältemaschinen sowie aus dem Vorgang der Fluidisierung bereitgestellt, welche zuvor in einem geeigneten Wärmeträgermedium ebenfalls in geeigneten Behältern gespeichert wurde. Es werden als Fremdwärme jedoch auch weitere Abgasströme beispielsweise von Motoren oder in Form der Umgebungswärme zugeführt, so dass die Flüssigluft verdampft und durch ihre damit einhergehende immense Expansion (Ausdehnung bis zum 1.000-fachen des ursprünglichen Ausgangsvolumens) infolge der Zustandsänderung des Gases eine Turbine antreibt, die über ihre mechanische Arbeit in einem nachgeschalteten Generator wiederum elektrische Energie produziert.
Normalerweise dient das Verfahren der Luftverflüssigung der Trennung bzw. Zerlegung des Gasgemisches Luft in seine atmosphärischen Bestandteile Stickstoff (ca. 78%) und Sauerstoff (etwa 21%) neben Fraktionen weiterer Gase wie zum Beispiel Argon oder Kohlenstoffdioxid. Als ein weiterer Vorteil des hier vorgestellten Systems gegenüber den derzeit verwendeten Lithium-Ionen-Akkus zur Energiespeicherung benötigen Flüssiglufttanks mit elektrischen Kühlaggregaten keine teuren (weil seltenen) Werkstoffe und müssen nach Ablauf ihrer Lebensdauer insofern nicht als teurer (da teilweise giftiger) Sondermüll entsorgt werden. Während die vorgenannten Batterien eine Lebensdauer von höchstens 10 bis 15 Jahren aufweisen, halten Flüssiglufttanks aus herkömmlichen Stahl- und Dämmmaterialien über 40 Jahre.
Highview Power betreibt in England seit 2018 auf einer englischen Deponie eine Pilot- bzw. Demonstrationsanlage mit einer installierten Leistung von 5 MW und einer Speicherkapazität von 15 MWh, die mit dem heißen Abgas der dortigen Motoren sowie dem entstehenden Deponiegas gespeist wird. Das Unternehmen will nun für rund 50 Mio. EUR die erste kommerzielle Anlage mit einer Leistung von 50 MW und einer Kapazität von 250 MWh auf dem Gelände eines ehemaligen thermischen Kraftwerks installieren. Im Falle einer industriellen Serienfertigung könnten derartige Kraftwerke die immer größeren Einspeisungsschwankungen aus Wind- und Sonnenkraft infolge des fortschreitenden erneuerbaren Leistungszubaus vor dem Hintergrund der Energiewende ausgleichen und somit als zwischengeschaltete Puffersysteme zu einer Stabilisierung des britischen Versorgungsnetzes beitragen bzw. einen eventuellen Zusammenbruchs des Systems (Blackout) zu vermeiden helfen.