Im letzten Artikel zur Parallelschaltung von Synchronmaschinen und Elektrizitätsnetzen wurde einmal mehr die Notwendigkeit eines sicheren, stabilen und zuverlässigen Stromversorgungsystems hervorgehoben, um einen Schwarzfall des Netzes mit allen einhergehenden verheerenden Folgen und Kaskadeneffekten für Gesellschaft und Wirtschaft zu vermeiden. In diesem Beitrag werden die Ereignisse des 24. Juli aufgezeigt, als Europa bereits zum wiederholten Male in diesem Jahr nur knapp an einem solchen Blackout vorbeigeschrammt ist.
Erst am 8. Januar dieses Jahres ereignete sich auf dem Balkan ein ähnlicher Vorfall, der zu einer zwangsweisen Netztrennung und in der Folge zu einem großflächigen und längeren Stromausfall in weiten Teilen des UCTE-Verbundes führte. Die zugehörigen Einzelheiten sind auf dieser Internetseite im ersten Artikel „Netztrennung und Stromausfall im UCTE-Verbund“ beschrieben
Die im Millisekundentakt gemessene Netzfrequenz ƒ des Stromnetzes muss zu jeder Zeit 50 Hertz [Hz = 1/s] (Soll- bzw. Nennfrequenz) betragen. Schwankungen infolge der zu jeder Zeit auftretenden leistungsmäßigen Abweichungen zwischen Stromeinspeisung und -verbrauch sind innerhalb bestimmter Toleranzgrenzen von bis zu ±200 mHz (49,8 Hz ≤ ƒ ≤ 50,2 Hz) über den Abruf der sogenannten Regelleistung noch korrigierbar. Je nach Richtung bzw. Vorzeichen spricht man daher von positiver oder negativer Ausregelung durch den für die jeweilige Regelzone zuständigen Übertragungsnetzbetreiber. Unter 49,8 Hz springen definierte Sicherheitsmechanismen wie die Anforderung zusätzlicher Netzreserven und anschließend automatische Lastabwürfe an, die zum Zwecke der Systemstabilität große Stromverbraucher aus Industrie und Gewerbe sowie Haushalte vom Netz zwangstrennen, um einen solchen Schwarzfall des sensiblen elektrischen Versorgungsnetzes mit allen Mitteln verhindern zu können, welcher bei einer Unterfrequenz von ƒ ≤ 47,5 Hz eintreten würde.
Auslöser des gravierenden Zwischenfalls, der zu einem starken Frequenzabfall mit wiederum anschließender Zwangsaufsplittung des synchronisierten europäischen Stromnetzes in zwei Teilnetze führte, war ein Kurzschluss nahe der spanisch-französischen Grenze. Im Rahmen der Bekämpfung eines dortigen Waldbrandes auf französischem Boden warf ein Löschflugzeug seine gesamte Ladung in Form großer Wassermengen direkt über einer Höchstspannungsleitung mit 400 kV ab. Aufgrund des dadurch verursachten Kurzschlusses schaltete sich die betroffene Freileitung automatisch ab, so dass der Strom über andere Trassen geführt werden musste. Infolge der mangelnden Kapazität bzw. aus Überlastungsgründen schalteten Sicherheitsmechanismen im betroffenen Gebiet auch weitere Leitungen ab, so dass dort kein Strom mehr auf die iberische Halbinsel transportiert werden konnte. Zu dieser Zeit (14:36 Uhr UTC) wurden bei einer Last von ca. 35 GW etwa 2,5 GW aus französischen Kraftwerken importiert. Durch diese fehlende Erzeugungsleistung fiel die Frequenz bis zu kritischen 48,66 Hz ab – zum Vergleich: im Rahmen der Netzauftrennung beim großen Störfall in Südosteuropa zu Jahresbeginn wurden als Mindestwert noch 49,746 Hz gemessen.
Gemäß der Emergency Operations des Verbandes europäischer Übertragungsnetzbetreiber (ENTSO-E) wird bei einer Frequenz von unter 49 Hz ein großflächiger automatisierter Lastabwurf ausgelöst, so dass auch am 24.07.21 mehrere hunderttausend Kundenanlagen in Industrie, Gewerbe und Haushalt stromlos geschaltet wurden, wodurch etwa 2,5 GW Last in Spanien und rund 1 GW in Portugal abgeworfen wurden, um das System vor einem Kollaps zu bewahren.
Weiterhin wurde aufgrund des Zwischenfalls von den beiden verantwortlichen Übertragungsnetzbetreibern Réseau de Transport d’Electricité (RTE) und Red Eléctrica de España (REE) eine Zwangsauftrennung des europäischen Verbundnetzes zwischen Frankreich und Spanien ausgelöst, um das massiv unterfrequente iberische Randnetz umgehend vom übrigen synchronisierten Netzsystem Europas zu isolieren. Insgesamt waren durch diesen Beinahe-Blackout mehrere Millionen Menschen in Spanien, Portugal und Frankreich eine Zeitlang ohne Strom.
Um 17:09 Uhr UTC wurde der Netzaufbau eingeleitet, das von der Störung betroffene Inselnetz durch die sukzessive Synchronisierung von Stromeinspeisern langsam wieder hochgefahren und anschließend trotz einer relativ großen Frequenzdifferenz beider Netze (Δƒ ≈ 220 mHz) wieder mit der Synchronzone Zentraleuropas parallelgeschaltet (zum Vorgang der Synchronisierung siehe letzter Artikel).
Nach den annähernden Schwarzfällen in den Jahren 2003, 2006, 2015 und im Januar war dies bereits der fünfte schwerwiegende Zwischenfall, der das europäische Stromnetz an den Rand eines kontinentalen Zusammenbruchs gebracht hat, was infolge der Zwangsabsplittungen zu mehreren einzelnen Teil- oder Inselnetzen geführt hätte und deren jeweilige Wiederherstellung sowie die anschließende Zusammenschaltung einschließlich der unabsehbaren netztechnischen Folgen (zum Beispiel wie beim in diesem Beitrag beschriebenen Störereignis in Form starker Frequenzschwankungen, die wiederum zu erneuten Kraftwerkstrennungen führen können) umso schwieriger gemacht hätte.