Im Artikel „Die Nord Stream-Pipeline“ von Christian Großner wurde die durch die Ostsee verlaufende Offshore-Gasleitung von Russland nach Deutschland vorgestellt. Um die aktuelle Transportkapazität der bestehenden Trasse zu erhöhen, wurde im Mai 2018 mit dem Bau und der Verlegung von zwei weiteren Röhren begonnen. Dieses Projekt läuft unter der Bezeichnung „Nord Stream 2“ und soll in diesem Beitrag mit seinen wesentlichen Eckdaten vorgestellt werden.
Die beiden neuen Stränge sollen weitgehend parallel zur bereits bestehenden Nord-Stream-Pipeline verlaufen und maximal rund 55 Mrd. m³ Erdgas pro Jahr zusätzlich in das Gebiet der Europäischen Union leiten. Mit dem Bau einer solchen dritten und vierten Pipeline würde sich die gesamte Kapazität des Projektes somit verdoppeln. Die durch die Baltische See führende Verbindung soll mit 1.230 km etwas länger als die erste Pipeline werden. Als Projektkosten wurden ca. 8 Milliarden Euro veranschlagt, d. h. ungefähr 0,6 Milliarden Euro mehr als noch für das Vorgängerprojekt.
Das Projekt ist politisch umstritten. So wurde im Dezember 2019 die Rohrverlegung etwa 150 km vor der deutschen Küste aufgrund von Sanktionsandrohungen der USA ausgesetzt und bis heute noch nicht wieder aufgenommen. Bislang hat der mit der Umsetzung beauftragte Schweizer Offshore-Dienstleister Allseas bereits über 1.000 km des Verrohrungssystems am Meeresboden verlegt, seine Spezialschiffe zur Verlegung der Ostsee-Pipeline infolge der US-amerikanischen Maßnahmen jedoch mittlerweile aus dem Baugebiet abgezogen.
Die ersten beiden Stränge, welche ebenfalls über die oben genannte Nennkapazität verfügen, leiteten im Jahr 2018 knapp 59 Mrd. m³ Erdgas aus den russischen Gasfeldern nach Europa, so dass die Unterwasser-Gasleitung im vorletzten Jahr mit etwa 107% ausgelastet war. Etwa zeitgleich dazu ging der bundesdeutsche Verbrauch an Naturgas jedoch etwas zurück, was auch auf den Klimawandel bzw. die damit verbundene dauerhafte Temperaturerhöhung und infolgedessen auf den europaweit verminderten Heizbedarf zurückzuführen ist.
Die im September 2015 gegründete Projektgesellschaft New European Pipeline AG (PNEP) bestand ursprünglich aus sechs Unternehmen: neben Gazprom (Russland) als Hauptaktionär beteiligten sich Wintershall (Deutschland), Engie (Frankreich), Uniper (Deutschland), OMV (Österreich) und Royal Dutch Shell (Großbritannien) an dem Projekt. Nach einem Einspruch Polens gegen diesen Zusammenschluss vor der europäischen Kartellbehörde gaben die fünf westeurpäischen Partner ihre Anteile an den russischen Energiekonzern ab, der somit zum alleinigen Eigentümer der PNEP wurde. Seit ihrem Rückzug firmieren Wintershall, Engie, Uniper, OMV und Shell als Finanzinvestoren des Vorhabens. Infolge der geopolitischen Widerstände geht PNEP davon aus, dass Nord Stream 2 nun mit einer einjährigen Verspätung, d. h. frühestens zum Ende dieses Jahres fertigstellt sein wird, da Russland das Vorhaben aufgrund der US-Sanktionen nun ohne die ursprünglich geplante westeuropäische Unterstützung beenden muss.
Der Ukraine und Polen entgehen durch den Bau und die damit verbundene Umgehung dieser beiden Länder Einnahmen, die ihnen als Transitländer für die Erlaubnis zur Onshore-Durchleitung des Brennstoffs durch ihr Territorium zustehen würden. Stattdessen wird die Gasleitung durch russisches, finnisches, schwedisches, dänisches und deutsches Hoheitsgewässer oder die Ausschließlichen Wirtschaftszonen (AWZ) dieser Staaten verlaufen. Allerdings wird Nord Stream 2 nicht die heutigen über Land verlaufenden europäischen Gaswege ersetzen, sondern soll lediglich eine zusätzliche Erdgasversorgung Europas mit dem Parallelziel eines geringeren Kohlendioxidausstoßes gemäß EU-Klimapolitik vor dem Hintergrund der angestrebten Energiewende sicherstellen und den partizipierenden Staaten durch die Land-Umgehung Transitausgaben in Milliardenhöhe ersparen.
Mit der Offshore-Leitung aus insgesamt etwa 200.000 Stahlrohren von der russischen Küste bis zum deutschen Anlandepunkt in der Nähe von Greifswald (Lubmin) soll der Einsatz von Erdgas als fossiler Primärenergieträger gefördert werden, um Braun- und Steinkohle weiter zu substituieren (Kohleausstieg) und so die gemäß der internationalen Nachhaltigkeits- und Klimaziele angestrebte Emission unter anderem von Kohlenstoffdioxid in die Erdatmosphäre zu vermindern. Kohle besitzt bezogen auf den Energiegehalt einen etwa doppelt so hohen Emissionswert von CO2 wie Naturgas. Hinzu kommt der Effekt aus der technischen Anlageneffizienz bei der Verbrennung bzw. Heizwertnutzung des jeweiligen Energieträgers: Im Vergleich emittiert z. B. ein Braunkohlekraftwerk mit einem Wirkungsgrad von 35% pro erzeugter elektrischer Kilowattstunde (kWh) etwa 1,2 kg CO2, ein kombiniertes Gas- und Dampfturbinenkraftwerk (GuD) mit einem Wirkungsgrad von 60% demgegenüber nur rund 0,3 kg Kohlendioxid. Zudem ist Erdgas als Feuerungsbrennstoff an den Energiemärkten gegenüber Kohle derzeit deutlich günstiger, während der Preis für Emissionszertifikate weiter ansteigen wird. Ein nachhaltiger langfristiger Klima- und Umweltschutz kann jedoch nicht durch eine gegenseitige Substitution begrenzter fossiler und damit treibhausgasemittierender Primärenergieträger, sondern nur auf der Grundlage erneuerbarer und somit kohlendioxidfreier Energiequellen erfolgen.