Nachdem im gleichnamigen Artikel mögliche „Auswirkungen von Offshore-Seekabeln auf die maritime Umwelt“ betrachtet wurden, soll sich dieser Beitrag mit dem potenziellen Einfluss von Hochspannungs-Gleichstrom-Übertragungssystemen (HGÜ) auf thermische Kraftwerkanlagen befassen, was vom regelzonenverantwortlichen Transportnetzbetreiber durch sogenannte Wellenstrangmodelle simuliert wird.
Durch die angestrebte Energiewende und den damit einhergehenden Ausbau von Anlagen zur Nutzung erneuerbarer Energiequellen muss auch die in Deutschland vorliegende Infrastruktur und Topologie des heutigen Stromnetzes erweitert und teilweise erneuert werden. Je mehr Kraftwerke errichtet werden, desto mehr Netzanschlusspunkte und -leitungen müssen von den Netzbetreibern verlegt werden. Auch die Kapazität und damit die zulässige Transportleistung des Verbundnetzes muss entsprechend erhöht werden, was entweder durch den klassischen Netzausbau oder einen Retrofit erfolgt. Durch die steigende Nutzung von Offshore- und Onshore-Windenergieanlagen kommt dem Stromtransport per Hochspannungs-Gleichstrom-Übertragung (HGÜ) eine immer größere Bedeutung zu (siehe Artikel „Die Hochspannungs-Gleichstromübertragung bei Offshore-Windparks“). Da jedoch sowohl die bestehenden thermischen Kraftwerke mit ihren rotierenden (trägen) Massen als auch die schnell regelbaren HGÜ-Systeme über das Übertragungsnetz miteinander verbunden sind, stehen die Regelungssysteme dieser leistungselektronischen Betriebsmittel im relevanten Netzausschnitt bzw. in Abhängigkeit ihrer elektrischen Entfernung in direkter Wechselwirkung.
Interagieren diese, indem Regelungen von HGÜ-Systemen bzw. deren Stromrichtern negative Belastungen des Wellenstrangs (= Welle(n) der Gas- oder Dampfturbine(n) plus Generatorwelle plus Erregerwelle) des Turbosatzes (= Turbine(n) plus Generator) eines Kraftwerks durch Torsionsschwingungen hervorrufen können, so spricht man von einer Sub-Synchronous Torsional Interaction (SSTI). Das Regelungssystem einer HGÜ wirkt als aktives Netzelement unter anderem im Frequenzbereich der subsynchronen Torsionsmomente und kann daher auf die sicherheitstechnisch erforderliche Dämpfung der Schwingungen einen nachteiligen Einfluss nehmen.
Aus netztechnischer Sicht wird dieses unerwünschte subsynchrone SSTI-Phänomen durch elektrische Störmomente wie zum Beispiel Schalthandlungen, Kurzschlüsse oder Störsignale / -größen im elektrischen System ausgelöst. Die damit verbundene mechanische (Über-)Beanspruchung der Welle hängt in erster Linie von den Eigenschaften des gekoppelten elektromechanischen Schwingungssystems ab. Die erzeugten Wechselwirkungen mit dem Drehstromnetz und dem Turbosatz können außerhalb des systemisch tolerierbaren Netzfrequenzbereiches (47 Hz bis 52 Hz) liegen. Technische Folgen einer solchen Funktionalität des HGÜ-Stromrichters können in Erzeugungsanlagen mit Synchrongeneratoren eine verstärkte Ermüdung oder gar Schädigung an Komponenten des Turbosatzes sein.
Mit Hilfe von sogenannten Wellenstrangmodellen simulieren Netzbetreiber, wie eine nachhaltige HGÜ-Technik aus Sicherheitsgründen ausgelegt und parametriert werden muss, um zusätzliche unzulässige Lasten an den Wellensträngen von Kraftwerken zu vermeiden. Dadurch kann der potenzielle negative Einfluss eines netzaktiven HGÜ-Systems auf die Dämpfung der Torsionsmomente bzw. -eigenfrequenzen eines disponierten Wellenstrangs bewertet werden. Das mechanische Simulationsmodell eines solchen Wellenstrangs bildet dabei das vollständige System mit sämtlichen technischen Charakteristika der involvierten Netzbetriebsmittel in Form der betroffenen Hochspannungs-Gleichstrom-Übertragung, dem identifizierten Kraftwerksblock und der elektrischen Netzumgebung ab. Die komplexe Berechnungsmodellierung eines auf subsynchrone Torsionsschwingungen zu analysierenden Wellenstrangs in seinem elektrischen Umsystem besteht in der Regel aus sehr vielen anlagen- und elektrotechnischen Kenndaten einer Lebensdaueranalyse wie zum Beispiel Arbeitspunkten, materialspezifischen und temperaturabhängigen Steifigkeiten, Trägheitsmomenten und modalen Dämpfungskoeffizienten.
Diese Kennzahlen, Diagramme und Ersatzschaltbilder über die Konstruktion des Turbosatzes sind dem Netzbetreiber entweder vom Kraftwerksbetreiber oder vom Anlagenbauer bzw. Turbinenhersteller zur Verfügung zu stellen. Wellenstrangmodelle können in reduzierter (vereinfachter) oder für eine größtmögliche Genauigkeit in detaillierter Form erstellt werden. Die im Zuge des Frequenzscreenings ermittelten Torsions- und Biegeschwingungen der betrachteten Torsionsmasse(n) werden als Eigenfrequenz in der SI-Einheit Hertz [Hz = 1/s] angegeben. Sollte die Netzanalyse ergeben, dass sich die Schwingungsdämpfung durch den Einfluss der HGÜ-Regelung von Arbeitspunkten und Lastflüssen verringert, so ist die Regelungstechnik (reaktiv) oder -auslegung (präventiv) des HGÜ-Systems mit dem Ziel eines sicheren und stabilen Netzbetriebes entsprechend anzupassen, um keinerlei negativen Einfluss auf das elektrische Dämpfungsverhalten der Torsionsschwingungen und somit auf die Wellenstrangstatik im Betriebszustand zuzulassen.
Maßnahmen in der betrieblichen Praxis bestehen beispielsweise in der Verschaltung eines geeigneten Dämpfungsreglers oder in der Abschaltung bzw. sukzessiven Reduzierung der Wirkleistungsübertragung der verantwortlichen HGÜ-Komponente oder gar des von der unzureichend gedämpften subsynchronen Schwingung betroffenen Turbosatzes. Von möglichen Auswirkungen des Betriebes von HGÜ-Systemen im Stromnetz auf die Wellenstränge von Turbosätzen können jedoch nicht nur an die Höchstspannungsebene (220 und 380 kV) angeschlossene Kraftwerke, sondern auch Anlagen in den nachgelagerten Netz- bzw. Spannungsebenen betroffen sein (Bildquelle: EnBW Energie Baden-Württemberg).